Tag 6: nach Schwieberdingen

Bild-Nr. 135 - copyright Frank Chudoba
Blick auf Plieningen mit der Martinskirche - die älteste Kirche Stuttgarts.

Auf diesen Tag freue ich mich schon seit Beginn meiner Reise. Für heute ist das Treffen mit meiner Familie geplant. Ein Wiedersehen nach den ersten Reiseeindrücken. Dieses Treffen soll auch dafür genutzt werden, die Kleidung gegen frische auszutauschen und die Dinge, die fehlen, nachzupacken. Doch trotz der extrem kurzen Vorbereitungszeit von sieben Tagen: So wirklich hat kein Teil gefehlt. Nur die Baumwohl-T-Shirts werden, da diese schweißgebadet nicht schnell genug trocknen und das Gepäck erschweren, gegen leichte, schnell trocknende und sportliche Trikots aus Polyester getauscht. Dazu ein paar Visitenkarten oder eher Papierstreifen, auf denen meine Kontaktdaten stehen - für all diejenigen, die später mehr zu dieser Wanderung erfahren wollen. 

Beim Frühstück auf der Terrasse in einem ruhig gelegenen Stuttgarter Vorort genieße ich die Sonne. Ich lade dabei per WLAN einige Google-Maps-Karten für die nächsten zwei bis drei Etappen runter. In der Bücherei waren echte Wanderkarten nicht zu bekommen. Ich bin daher auf digitales Material und meiner Intuition angewiesen. Mit der Orientierung hatte ich bislang nie große Schwierigkeiten. In Zeiten, in den man sich auf Navigationsgeräte verlässt, kann diese schon mal abhanden kommen. Hat man sich früher auf Landkarten - um diese nutzen zu können - an besondere Merkmale wie Kirchen, Türme, Gewässer orientiert, so werden wir von einer weiblichen Stimme und einem "biegen sie in einhundert Metern rechts ab" an das Ziel gebracht, ohne auf Besonderheiten, besondere Gebäude oder Straßenschilder zu achten. 
Mein Gastgeber Ernst Michael empfiehlt mir die App Komoot. Eine umfangreiche WanderApp für gerade einmal 29 EUR, mit der man Touren abseits der Straßen planen und beschreiten kann. Einige Monate später werde ich diese App mein Eigen nennen und erkennen: "Hätte ich sie bloß schon früher gehabt." So manche unnötigen Kilometer werden mir in den nächsten Tagen erspart bleiben. 

Kurz vor der Abreise zeigt Ernst mir noch sein Poncho-Zelt, dass er auf seinen Wanderungen und Reisen per Rad nutzt und mit dem er so manches Abenteuer erleben konnte. Es ist ein kleines Einmann-Zelt, welche auch als Poncho genutzt werden kann. Gerade einmal ein Kilo schwer. Das wäre ideal für meine Reise. Es würde immer dann eine Schlafmöglichkeit bieten - geschützt vor Insekten und Regen - wenn diese sich nicht ergeben würde. Mir war nur nicht klar, wie ich an ein solches kommen soll, da dieses ja über den Online-Versand vertrieben wird. 

Die ersten Meter des Tages werde ich begleitet, so dass ich den richtigen Kurs zu unseren Familientreffpunkt nehmen kann, die Hohenheimer Universität. Nach gerade einmal einer viertel Stunde treffe ich dort ein. Ursprünglich ein Schloss, jetzt eine Lehranstalt. Wer Agrarwissenschaft (Nr. 1 in Deutschland, Nr. 8 in Europa und Nr. 34 in der Welt), Naturwissenschaft oder Wirtschaft- und Sozialwissenschaft studieren möchte, wird sich in dieser riesigen Anlage wohl fühlen. 9638 Studenten, 2066 Mitarbeiter. Wirklich beeindruckend. Dazu gehört ein Botanischer Garten, ein Exotischer Garten und die Hohenheimer Gärten. Ich frage mich, ob ich meine Familie auf der recht großen Grünanlage überhaupt finde. Doch schon zu Ende gedacht, kommen Sie mir beim Blick auf die Lichtung entgegen. Wenn ich auf Messen unterwegs bin, dann verbringe ich schon mal mehr Tage ohne Frau und Kind, doch: Über fünf Tage und über 100 km Wanderung fühlen sich fast wie eine kleine Ewigkeit an. Man verliert das Gefühl für die Zeit. Eigentlich lächerlich, bin ich doch gerade sechs von geplanten 38 Tagen unterwegs. 

Ich genieße das Picknick, das Zusammensein mit meinen Liebsten. Gemeinsam durchstöbern wir das Grün, das Lavendel-Labyrinth, den Kräutergarten und verbringen einige Stunden in dieser wunderschönen Anlage.

Den Rest des Tages nutzen wir, um die Innenstadt aufzusuchen. Vielleicht finde ich ja doch so ein kleines, leichtes Zelt. Es würde ja Katja den Stress nehmen, eine Übernachtung für mich finden zu müssen. Wir werden recht schnell fündig. Zweites Geschäft - der Jack Wolskin Store. Aufgebaut, das letzte Zelt, das Ausstellungstück hat auf mich gewartet. Ich krabbel rückwärts rein. Anders geht es aufgrund der geringen Größe auch nicht. Auch meine Tochter passt gerade noch hinein. Das Zelt mitsamt der Stangen ist kein Kilogramm schwer. Perfekt. 

Raus aus der Stadt. Da Plieningen weit östlich von der geplanten Tour abweicht, ermogel ich mir die Kilometer zur westlichen Route als Beifahrer zurück, auch weil jeder Schritt in der Smog-Glocke von Stuttgart nicht gerade die Lunge in Verzückung bringt. Es geht raus ins Grüne. Der Platz für ein gemeinsames Abschlußpicknick, den Austausch der Klamaotten und ein möglicher Schlafplatz für die erste Nacht im neu erworbenen Zelt ist schnell gefunden. Nur unweit von Schwieberdingen entfernt. Eine große Abschiedszeremonie gibt es nicht, denn ich würde Beide ja schon in wenigen Tagen wiedersehen. 

So schön dieser Platz auch ist, entscheide ich mich, ein Stück weiterzugehen. Die anliegende Straße ist mir zu laut. Mit dem Band, welches in am 3. Tag von Jan-Ingo erhalten habe, schnüre ich das Zelt und die Isomatte, die mir Katja von Freunden mitgebracht hat, oben am Rucksack fest. Zwei neue Begleiter meiner noch über einen Monat andauernden Reise, die mir eine neue Flexibilität und Freiheit bei der Übernachtung bieten werden. Nach etwa einen Kilometer ist mein erster Outdoor-Schlafplatz gefunden. Im Schatten einer Buschreihe baue ich das Zelt auf, was mir auf Anhieb gut gelingt. Das Innenzelt ausgerollt, die Alustangen zusammengesteckt, das Außenzelt per Klettband fixiert und die Seile samt Zelt mit den Aluhaken fixiert. Ich krieche rückwärts in das kleine Zelt, verstaue die Wanderschuhe an das Ende. Den Rucksack ziehe ich an das Kopfende, er soll gleichzeitig als Kopfkissen dienen. Das Smartphone schließe ich an die Powerbank an. So klein dieses Zelt auch sein mag, es macht mich einfach glücklich, an jedem Ort übernachten zu können, ganz ohne Stress eine Unterkunft finden zu müssen. Es bietet mir zum einen den Abstand zu allem, was ich erleben werde, zum anderen aber auch die Nähe zur Natur. 


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