Tag 2: Ins Outdoor-Camp Empfingen

Bild-Nr. 7 - copyright Frank Chudoba

Nach der beeindruckenden und zugleich erschütternden Reise in die Oberndorfer Vergangenheit, über die auch heute noch der Mantel des Schweigens hängt, geht es nach einem ausgiebigen Frühstück pünktlich weiter. Liebend gerne hätte ich noch einiges über die Aktivitäten von Ulrich Pfaff und seiner Frau Renate erfahren. Doch dieses Treffen soll ja erst der Anfang für gemeinsame Aktivitäten sein und: ein Blick in die Vergangenheit soll auch nicht der letzte auf meiner Reise sein. 

Keine Blasen an den Füßen, kein Muskelkater, selbst der Rücken hat sich vom schweren Rücksack erholt. Das Wetter sollte auch mitspielen. Ideale Bedingungen also, um meinen Marsch fortzusetzen. Ich nutze den Weg entlang der Neckar und komme schon bald am Buch der Erinnerung an, welches an die Opfer der Zwangsarbeit, der Euthanasie und dem Holocaust mahnend erinnern soll. Mehrere etwa zwei Meter hohe Seiten aus Aluminium erzählen in Kürze diese Geschichte. Unvorstellbar, welche Ausmaße es damals annahm. Gerade einmal 72 Jahre her. Und schaut man sich den zunehmenden Hass in der gegenwärtigen Gesellschaft an, wird es wieder vorstellbar, wie alles begann. Doch es bleibt an diesem Mahnmal wenig Zeit, intensiver darüber nachzudenken.

Das heutige Ziel ist ein Outdoorcamp - das Timeforest in Empfingen. Mein Sohn absolvierte zu einer rauheren Jahreszeit, nämlich im Winter mit seinen Arbeitskollegen ein Survival-Camp. Sein damaliger "Ausflug" hat dieses Camp überhaupt erst als Teil meiner Reise ermöglicht. Mit Begeisterung erzählte er von seinem Abenteuer und seinem Trainer. Wer sich mit Überlebenstraining auskennt, sollte mir doch mit den richtigen Tipps weiterhelfen. Eigentlich eher für das Spiel "Was packe ich in meinen Koffer" - oder besser in den recht kleinen Rucksack. Rechtzeitig vor Reiseantritt erreichte ich Jan Ingo. Als Unternehmensberater tätig, hat er vor wenigen Jahren dieses Outdoor-Camp aufgebaut. Ein stattliches Stück Wald, ausgerüstet mit den Notwendigsten. Doch nicht nur Tipps hinsichtlich notärztlicher Verpflegung und der Warnweste folgten, sondern gleich eine Einladung ins Camp inklusive Outdoor-Übernachtung. Die Einladung nahm ich sofort an. Jetzt bin ich dahin unterwegs. Wäre das doch auch die ideale Vorbereitung für die kommenden etwa 735 km.

Weiter geht es dem Neckar entlang über Oberndorf, Aistaig, bis nach Sulz. Eine schöne Strecke, vorbei an Burgen - oder was davon übrig geblieben ist - die auch mal am Wochenende mit der Familie bewandert werden kann. Dann geht es bergauf. Wenn ich meine Wanderung mit wenigen Ausnahmen als wenig bergig bezeichnen würde, dieser Streckenabschnitt fordert mich schon ein wenig heraus. Ausreichend Pausen und viel Trinken, das sollte das Patentrezept sein. In den kommenden heißen Tagen sollten 5 Liter Leitungswasser zur täglichen Ration gehören. Jede mögliche Wasserstelle musste genutzt werden. Heute sollte eine Feuerwache der Wasserspender werden.

Der Marsch dauert länger als geplant. Routenplaner und Streckenplanung am Monitor sind zwar ganz nett, doch wird sich auch in den kommenden Abschnitten herausstellen, dass solches Kartenmaterial nicht immer hilfreich ist und Google meine Laufgeschwindigkeit schwer berechnen kann, besonders bei zunehmend platteren Füßen. Auch sind die vorgeschlagenen Strecken - auf der Landstraße entlang - auch nicht besonders angenehm. Oftmals sind es rücksichtslose Autofahrer, die einen den Puls in die Höhe treiben. Die Warnweste hilft zumindest, besser wahr genommen zu werden. 

Nach fünfeinhalb Stunden ist das Etappenziel erreicht. Die letzten Meter des Tages führen mich durch Maisfelder bis zu einem Stück Wald, dessen Position ich auf der gespeicherten Karte meines Smartphones genauestens inspiziere. Es gibt ja keinen Straßennamen. Eine bestimmte Gabelung eines Weges ist zu finden. Nach kurzer Unsicherheit, den richtigen Weg genommen zu haben, stehe ich auch schon vor dem Fahrzeug, beschriftet mit dem Namen des Camps. Ich bin erschöpft, aber auch ein wenig stolz, nun auch den zweiten Abschitt erreicht zu haben. 

Es ist normalerweise nicht immer einfach, die richtigen Gesprächsthemen zu finden, wenn man sich nicht kennt. In diesem Fall gestaltet es sich einfach. Worüber wir uns unterhalten? Es wird wie bei all meinen Begegnungen ein Geheimnis bleiben. Nicht, dass eine Aufzeichnung des Gespräches jemanden kompromitieren könnte. Doch Offenheit erfordert Vertrauen. Vertrauen erfordert Diskretion. Es sollten immer Gespräche werden, die Gemeinsamkeiten mit meiner Lebensgeschichte aufzeigen, die zum Nachdenken anregen, die ein Puzzlestück liefern. Ein Puzzlestück, welches das Zeug hat, das große zu beantworten. 

Ich genieße das Lagerfeuer. Das Essen, vegetarisch, zubereitet in einer gußeisernen Pfanne, direkt über den lodernden Flammen. Der Duft der Zucchini, der Kartoffeln, das Brutzeln des Spiegeleis. Viele Abende habe ich als Kind am Lagerfeuer verbracht. Der Blick in die Flammen hat für mich eine berühigende Wirkung. Die Natur war schon immer ein Teil von mir. Und die Nacht werde ich in der Natur verbringen, in einem Schlafsack auf dem Boden. 

Die mit einer Plane bespannten Stämme über mir hätten mich vor Regen geschützt. Den hungrigen Mücken des Waldes hält nur ein Moskitonetz, befestigt am Schlafsack, und das Räuchern eines Baumpilzes von meinen Blut ab. Erstaunlicherweise überlebe ich die Nacht im Freien ohne spürbare Mückenstiche. Die Nähe zum Boden, mitten im Wald, fern von Straßenverkehr und Hektik. Es ist einfach wunderbar. Das ich den Wald als Schlafplatz häufiger aufsuchen würde, war mir zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewusst.


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Outdoorcamp

Wenn ihr Lust auf Survival habt oder einfach mal raus aus dem Alltag kommen wollt, dann kann ich euch dieses Camp und vor allem Jan Ingo Kollig bestens empfehlen. timeforest.de
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2

Die AG Bergen-Belsen

Was in Bergen Belsen passiert ist, darf nie vergessen werden.
Mehr hierzu werden ihr schon bald am Tag 34 der Reise erfahren.ag-bergen-belsen.de
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