Nun war es soweit. Der Rucksack gepackt. Die Wanderschuhe geschnürrt. Kein Gedanke wurde daran verschwendet, mich von dieser eigentlich irrsinnigen Idee abhalten zu lassen. Hamburg 777 km zu Fuß zu erreichen. 7 Tage nach der Idee. Genug Zeit, die Strecke abzustecken, die wenigen Habseligkeiten meiner Reise einzupackem und Notfallmaßnahmen für die technischen Belange aus Kundensicht zu erarbeiten. Zu wenig Zeit, um an diesem Projekt zu zweifeln, sich Gedanken zu machen, was hätte alles passieren können. Aber im Grunde genommen, hat mich auch keiner davon abbringen wollen. Das OK der Familie war da. Sie hatten die Notwendigkeit erkannt, dass ich irgendetwas unternehmen musste, um zu geistigen Kräften zu kommen. Es war aber auch nicht zu übersehen. Ich war ausgebrannt, unkonzentriert und nicht wirklich zu gebrauchen.
Ich musste raus. Meinen Kopf befreien von der Last der letzten Jahre. Zu mir selbst finden. In ein Abenteuer stürzen. Um dann nach Abschluss der Reise mit voller Kraft durchstarten zu können. Mögliche Strapazen konnten nur erahnt werden. Mit einem durchschnittlichen Tagesradius von 200 m, untrainiert, ein paar Kilo zu viel auf den Rippen war normalerweise nicht von einem unbeschwerlichen Marsch auszugehen. Doch ein Testmarsch vor wenigen Tagen - 6 km in einer Stunde - ohne Gepäck hatte ich beschwerdefrei überlebt. Keine Zelle meines Körpers signalisiert: lass das sein. Wenn Körper und Geist eins sind, dann hätten meine Gedanken meinem Körper noch warnen können, mich mit Krämpfen, Muskelkater, Blasen oder Hals- und Beinbruch davon abhalten können. Nein, es fühlte sich gut an. Freunde und Bekannte fanden die Idee von Anfang an toll, doch dass ich dann doch starten würde, damit haben sie dann nicht wirklich gerechnet. Nicht, dass ich meine Pläne nicht umsetzen würde, doch ein solanger Zeitraum und eine weite Strecke zu Fuß? Nicht wirklich.
Meine Frau hatte die schöne Idee mit den weißen Bändern. Bänder, die als Zeichen für Frieden und als Sinnbild für meinen Friedensmarsch stehen sollten. Für mich auch ein Zeichen der Verbundenheit. Meine Frau häkelte in den letzten drei Tagen reichlich weiße Bänder aus Baumwolle.
Mit den folgenden Worten sollten Sie an prominenten Plätzen und bei den Menschen verbunden werden: "Für den Frieden. Für die Freiheit. Für die Gerechtigkeit". Mit jeden Satz ein Knoten. Das erste Band knotete meine Frau an mein linkes Handgelenk. Auch heute noch trage ich es. Seit genau diesem Tage. Meine Frau erhielt das zweite weiße Band, meine Tochter Lynn das dritte. Die weiteren Bänder verstaute ich in der oberen Tasche des Rucksacks, einige weitere in meiner Regenjacke.
Das Wetter war eher von Nieselregen geprägt. Der Himmel grau. Die Temperaturen bei ca. 24 Grad recht angenehm, um die ersten 18 km zurück zu legen. Nicht irgendwo hin, sondern zu den fast letzten Aktivisten für den Frieden in Oberndorf am Neckar. Ein schon älteres Paar, die ich im Film "Vom Töten leben", einer Reportage von Wolfgang Landgraeber zur Waffenfabrik Heckler & Koch, gesehen aber vorher nie kennengelernt habe. Diesen Film konnte ich am 7. November 2016 in einer Filmvorführung im Beisein des Dokumentarfilmers und einigen Protagonisten anschauen. Ich wechselte damals einige Worte und Ideen mit Herrn Landgraeber. Er konnte sich an unser Gespräch erinnern, als ich ihn am Dienstag dieser Woche erreichte und teilte mir die Kontaktdaten von Ulrich Pfaff aus Altoberndorf mit. Ein kurzes Telefonat mit Herrn Pfaff, einige Unterlagen per E-Mail und nach ein wenig Bedenkzeit dann auch die Zusage für eine Übernachtungsmöglichkeit. Es war der Grundstein für die Reise gelegt. Denn für mich stand im vorhinein fest, dass die Reise nicht via Hotel und Pension von statten gehen würde, sondern mit privaten Übernachtungen und interessanten Gesprächen. Mir war wichtig zu erfahren, was die Meschen antreibt, wie sie zum Frieden stehen und was sie denken.
Neu: 03.01.2018:
Und nun war ich unterwegs. Ich bin los gegangen. Ja, ich war wirklich dabei, die spontane Idee, zu Fuß nach Hamburg zu marschieren, umzusetzen. Mir kamen viele Gedanken in den Sinn. Doch bei keinem kamen Zweifel, sondern pure Neugier auf. Durch die Langsamkeit einer Wanderung konnte ich viel mehr in meiner Umgebung wahr nehmen. Jedes kleinste Detail hatte meine Aufmerksamkeit. Jedes Ortsschild, welches ich erreichte hatte noch seine Faszination und wurde abgelichtet.
Nach einigen Kilometern über Nebenstraßen, Fußwegen und kurvenreichen Landstraßen ohne Fußweg erreichte ich endlich einen Wanderweg am Rande der Neckar. Weg vom Straßenverkehr. Hinein in die Natur. Doch das Highlight des Tages würden nicht die ersten Wanderkilometer, sondern die bevorstehende Führung durch Teile Oberndorfs sein.
Nach drei Stunden und 45 Minuten erreichte ich das erste Etappenziel. Die Sonne kam aus ihrem Versteck hinter den Wolken hervor. Ein Mahnmal gegen Krieg und Faschismus kündigte das Ziel an. Davon hatte ich gelesen, als ich im Rahmen einer Bewerbung zum Gottfried Fuchs-Preis, verliehen vom Würtembergischen Fußballverbandes, einige Eckdaten zur Geschichte dieser Region sammelte. Dass die Person, welches dieses Denkmal errichtete, mein erster Gastgeber sein würde, war eines von vielen Zufällen, die auf mich zukommen würden.
Der Empfang war sehr herzlich. Jedes Detail am Haus war ökologisch ausgerichtet. Hier wird nicht nur über Umweltschutz und Frieden geredet. Hier wird gehandelt. Es ist in meinen Augen ein Lebenswerk. 12 Jahre im Dienste von Brot für die Welt, die Aufarbeitung der Geschehnisse im dritten Reich. Darauf könnte die Stadt Oberndorf stolz sein, wären da nicht auch die Aktivitäten, die den größten und einflußreichsten Arbeitgeber der Region betreffen. Mit Heckler + Koch (kurz H+K) befindet sich nicht nur der bedeutenste Waffenproduzent des Landes, sondern auch das vermeintlich tödlichste Unternehmen (Zitat des Friedensaktivisten Jürgen Grässlin) in der Oberstadt von Oberndorf. Dass dieses - wie wohl allen Friedensaktivisten - auch Ulrich Pfaff nicht gefällt, der nicht nur den Krieg im Kindesalter miterlebt hat, sondern sich im Rahmen der Biografie seines Vaters mit dieser Zeit intensiv beschäftigte, ist wohl allzu verständlich. Er gilt für die Stadt als Unruheherd. Doch er gibt die Hoffnung nicht auf, auch im hohen Alter in der Region etwas zu bewegen. Die Menschen wachzurütteln, ins Gewissen zu reden. Wird prominenter Besuch bei H+K erwartet oder ist eine Demo an den Werkstoren geplant. Er ist dabei.
Er drückt seine Hoffnung auch damit aus, dass Mitarbeiter, die das Unternehmen verlassen, sich mit zivilen Produktionen beschäftigen. Auch ich bin der Meinung, dass ein Unternehmen, welches Bauteile für Waffen herstellen kann, ebenso in der Lage ist, Dinge herzustellen, die für vielen Menschen nicht den Tod bedeuten. Argumente, dass dann ein anderes Unternehmen die Waffen produziert, sind sehr fadenscheinig. Ich spare mir an dieser Stelle irgendwelche Vergleiche. Doch sind wir mit unserem Land nach zwei Weltkriegen, die viel Elend in die Welt gebracht hat, nicht dem Frieden verpflichtet?
Die Klosterkirche im Zentrum Oberndorfs ist - von außen noch unscheinbar - mit seinem barocken Stil von innen schön anzuschauen. An der prächtigen Deckenbemalung prankt zwar das Wort Pax für Frieden, doch auch dieses Bauwerk ist von der Waffenproduktion geprägt. So diente diese von 1811 bis 1874 als Gewehrfabrik, da jeder Quadratmeter für das lukrative Geschäft genutzt werden sollte. Später dazu mehr.
Heute wird das Kloster für kulturelle Veranstaltungen genutzt.
Anschließend fuhren wir zum Mahnmal anlässlich des Arbeitserziehungslager, welches etwas versteckt im Wald liegt und an die Greueltaten von 1941 bis 1945 erinnern soll.
Zum Schluss ging es zu einer Werksbesichtigung von H+K. OK, es war mehr eine Rundführung - außen um den Zaun herum. Denn rein gelassen hätten sie uns wohl nicht.
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